Streulicht by Ohde Deniz

Streulicht by Ohde Deniz

Autor:Ohde, Deniz [Ohde, Deniz]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2020-01-02T00:00:00+00:00


Beim ersten Mal betrat ich das Oberstufengymnasium durch den falschen Eingang, durch das hintere Tor des Schulhofs über das Basketballfeld, das in verblichenem Hellgrün in den Boden eingelassen war. Es waren noch Sommerferien, und das Gebäude lag geisterhaft verlassen, durch einen hohen Zaun vom nächsten Grundstück abgegrenzt. Das Vordach des Westflügels überschattete einen Teil des Schulhofs. Innen war das Treppenhaus mit dunkelbraunen Kacheln gefliest, Ornamente in Blau und Rot verzierten die Wände, ein stillgelegter Trinkbrunnen aus Marmor lag am Aufgang zur Aula. Ich stieg die Treppe ins Parterre hoch, wo das Rektorenzimmer lag und das Sekretariat, in dem ich mich anmelden sollte.

»Ich habe ein Bewerbungsgespräch beim Herrn Direktor«, sagte ich über den hohen Tresen der Sekretärin hinweg. Sie sah durch kleine Augen an mir vorbei. »Ja«, sagte sie, »warten Sie im Gang.«

Ich ging hin und her und zählte die Fliesen. Das Gebäude hielt die Hitze mit seinen dicken Mauern ab und speicherte die Kühle der Nacht bis in den Nachmittag, fröstelnd zog ich die Schultern hoch. Ein Mann mit weißem Bart trat aus einer der Türen. »Frau A– ?«, sagte er, und ich nickte und ging ihm entgegen.

Ich schloss die Tür zu seinem Büro hinter mir, er saß schon an seinem Schreibtisch und bedeutete mir mit einer Hand, mich zu setzen. »So – «, begann er, »erst mal guten Tag, herzlich willkommen.« »Hallo«, sagte ich und schob den Stuhl ihm gegenüber etwas näher an den Tisch, bevor ich mich darauf niederließ. »Sie wollen also an unsere Schule kommen.« Ich nickte. »So – «, sagte er nochmals und ordnete die Papiere vor sich, unter denen ich meinen dünnen Lebenslauf erkannte und eine handschriftliche Notiz auf dem Empfehlungsschreiben meiner Lehrerin. »Sie sind ja nun etwas älter – wir haben eine Verpflichtung, das heißt, ich habe eine Verpflichtung, als Schulleiter persönlich für jeden zu bürgen, der über achtzehn Jahre alt ist und zu uns kommt. Das ist ein Risiko, denn Sie könnten einfach wieder gehen und dann einen Platz belegt haben, den eine jüngere und willigere Person hätte in Anspruch nehmen können. Deshalb nehmen wir ältere Schüler nur auf, wenn es noch Restplätze gibt und wenn wir uns vergewissert haben, dass sie es ernst meinen.« Der Rektor wartete kurz, aber ich sagte nichts, sondern nickte nur noch einmal. Er legte meinen Lebenslauf auf das Empfehlungsschreiben und überflog die Auflistung meiner Schulstationen, den Blick durch die Lesebrille auf seiner Nasenspitze gerichtet. Dann sah er mich über das Brillengestell hinweg an.

»Woran lag es?«, fragte er.

»Es?«

»Die Lücken hier beziehungsweise die Brüche.«

»Ich war – ich war früher nicht so gut.«

»Aber das kann ja nicht alles gewesen sein. Es muss ja schon einiges vorfallen, bis eine so sang- und klanglos verschwindet.«

»Ich weiß nicht genau, es hat eins zum anderen geführt.«

Der Rektor blickte mich weiter an, abwartend, ob ich etwas ergänzen würde. Es musste Gründe geben, die ich ihm ordentlich darzulegen hatte, Ursache und Wirkung mussten klar benannt werden. Nur schlechte Noten reichten nicht, obwohl sie letztlich das einzig Greifbare waren. Es hatte weiter zu reichen, es musste an mir liegen.



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